SpotLight: Missverstandene Kündigungsdaten
Die Allianz schickte gestern Schockwellen durch den Markt für nachrangige Versicherungsanleihen, als der Emittent die Allianz 3,875%-Perp-Anleihe nicht zu ihrem ersten Kündigungstermin am 7. März 2022 kündigte. Die Anleger verloren etwas Vertrauen in die Kündigungsdisziplin der europäischen Versicherer. Infolgedessen gerieten Anleihen mit niedrigen Coupons nach dem ersten Kündigungsdatum unter Druck. Wir sind überrascht, dass so viele Marktteilnehmer von der Allianz überrascht wurden, da der Emittent in der Tat sehr konsequent und diszipliniert blieb. Es war sogar das zweite Mal, dass der Markt das Verlängerungsrisiko dieser Anleihe falsch einschätzte, denn bereits nach Erstemission erlitt die Anleihe aus demselben Grund bereits Preisabschläge. Die daraus resultierenden Turbulenzen eröffnen nun unserer Ansicht nach interessante Gelegenheiten.
Rötger Franz, Partner Plenum Investments AG
Keine Kündigungsdisziplin bei Retail Anleihen
Die Allianz hat keine offizielle „Kündigungspolitik“, und es gibt rechtliche Beschränkungen für die Emittenten, ihre Bereitschaft zur Kündigung von Anleihen zum ersten Kündigungstermin zu versprechen. Im Allgemeinen unterscheiden die Allianz und andere Versicherer zwischen zwei Arten von gehandelten Anleihen: Institutionelle Anleihen und Retail Anleihen. Diese Begriffe werden aber üblicherweise unabhängig von der Art der Anlegerbasis verwendet! In diesem Zusammenhang haben institutionelle Anleihen in der Regel einen Step-up (d.h. Coupon-Erhöhung bei erster Kündigung) und in den meisten Fällen grosse Mindeststückelungen von EUR/USD/GBP 100-200k. Die Versicherer haben in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Erfolgsbilanz in Bezug auf die Erfüllung der Erwartungen der Anleger, diese Anleihen unabhängig von den Refinanzierungskosten zum ersten Kündigungstermin zu kündigen, aufgebaut. Ausnahmen von dieser Regel sind sehr selten.
Retail Anleihen haben in der Regel keine Aufschläge, eine ewige Laufzeit sowie in vielen Fällen (aber nicht immer) kleinere Mindeststückelungen. In der Vergangenheit haben die Versicherer deutlich gemacht, dass sie beabsichtigen, diese Anleihen auf rein „wirtschaftlicher“ Basis zu kündigen, d.h. nur, wenn die Anleihe zu einem niedrigeren Kupon refinanziert werden kann.
Institutionelle Bonds werden gekündigt
Die Allianz ist ein gutes Beispiel für diesen Ansatz. Der Emittent kündigte alle ausstehenden institutionellen Anleihen mit einem Step-up zu ihren ersten Kündigungsterminen. Retail Anleihen wurden in vielen Fällen ausstehend gelassen. So wurden z. B. die Allianz 5,5%-Perp und die Allianz 5,375%-Perp als restricted Tier-1-Anleihen mit Grandfathering behandelt. Die Allianz 5,5%-Perp-Anleihe hatte ihren ersten Kündigungstermin am 26. September 2018 und die Allianz 5,375%-Perp-Anleihe am 3. März 2011. Beide Anleihen wurden zu ihren ersten Kündigungsterminen nicht gekündigt. Seit Inkrafttreten der Solvency-II-Regelungen hat die Allianz immer wieder kommuniziert, dass der Emittent beabsichtigt, die beiden Grandfathered-Anleihen durch neue, Solvency-II-konforme Anleihen zu ersetzen. Anfänglich hinderten jedoch Steuerprobleme die Allianz daran, an den Markt zu gehen. Nachdem diese Probleme gelöst werden konnten, begann die Allianz im vierten Quartal 2020 mit der Emission neuer Tier-1-Papiere und kündigte beide Anleihen wie erwartet. Interessanterweise bewertete der Markt die 5,5%ige Allianz-Anleihe unter der Annahme einer Kündigung im Jahr 2021, während die andere Anleihe bis zu einer Kündigung am Ende der Grandfathering-Periode in 2025 gepreist wurde.
Bereits in 2021 gab es ein Missverständnis
Die Allianz-Anleihe mit einem Zinssatz von 3,875%, die gestern nicht gekündigt wurde, war erst 2016 begeben worden. Die Anleihe hat eine ewige Laufzeit und ist als Solvency-II-konformes Tier 2 klassifiziert. Die Allianz hatte sehr deutlich gemacht, dass die Anleihe als „permanentes Kapital“ angesehen wird. Die Anleihe richtete sich an asiatische HNWI, obwohl sich auch viele institutionelle Anleger an der Anleiheemission beteiligten. Interessanterweise schienen viele Anleger das Verlängerungsrisiko der Anleihe zu ignorieren und wurden sich dessen erst in den Wochen nach der Anleiheemission bewusst. Daher fiel die Anleihe in den ersten Wochen ihres Handels erheblich.
Fazit
Angesichts des jüngsten Zinsanstiegs und der aggressiven Kommentare der Zentralbanken wäre es für die Allianz zumindest sehr schwierig geworden, die Anleihe mit einem Zinssatz von 3,875% zu einem niedrigeren Zinssatz zu refinanzieren. Die ausstehende Anleihe kann nun jederzeit gekündigt werden, was dem Emittenten eine grosse Flexibilität verschafft. D.h. die Entscheidung, die Allianz 3,875% Anleihe nicht zu kündigen, war rational und steht im Einklang mit den Gepflogenheiten des Emittenten und der Branche und ist kein Grund, an der Kündigungsdisziplin des Emittenten oder der Branche zu zweifeln.
Mit freundlichen Grüssen
Plenum Investments